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Die historische „Schießerei“ am 20. März in Schenkendorf

Nach Novemberrevolution 1918, Kaiser-Abdankung und Wirtschaftschaos hatte die SPD Anfang 1919 mit der Regierungsübernahme eine schwere Hinterlassenschaft des Ersten Weltkriegs auf sich genommen. Am 28. Juni 1919 musste der „Versailler Friedensvertrag" unterzeichnet werden. Viele Milliarden Kontributionszahlungen an die Siegermächte und beträchtliche Gebietsabtretungen riefen auf Revanche Gesinnte und Kaisertreue gegen das „Versailler Diktat" und den neuen demokratischen Staat auf den Plan.

Der Kapp-Putsch

Ab Februar 1920 häuften sich Meldungen über bevorstehende Putschpläne. Deshalb bildeten sich ab Anfang März Einwohnerwehren zum Schutz der jungen Republik. So auch in Schenkendorf, Mittenwalde und Königs Wusterhausen.

In der Nacht zum 13. März 1920 putschte die Marinebrigade Ehrhardt und begann die Besetzung Berlins. Eine maßgebliche Rolle spielten General Freiherr Walther von Lüttwitz, der preußische Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp sowie der Weltkriegsgeneral Erich von Ludendorff, später einer der Hitler-Getreuen. Kapp erklärte sich in Berlin zum Reichskanzler. General von Lüttwitz wurde zum Reichswehrminister berufen, die Nationalversammlung sollte aufgelöst werden. Die Regierung Bauer flüchtete zunächst nach Dresden und dann weiter nach Stuttgart.

Noske mit v. Lüttwitz

Die Volkserhebung

Am 15. März begann landesweit der Widerstand mit einem von den Gewerkschaften ausgerufenen Politischen Generalstreik. Einer der Hauptakteure war die USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands). Die junge KPD (Kommunistische Partei Deutschlands), deren populäre Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ein Jahr zuvor von konterrevolutionärer Soldateska ermordet worden waren, schloss sich an. Die SPD mit Kanzler Bauer und Reichswehrminister Noske wollte allerdings später von ihrer Befürwortung des Streikaufrufs nichts mehr wissen.

Streikaufforderung aus Niederlehme

In unserer Region gab es vom Kalksandsteinwerk „Robert Guthmann" GmbH in Niederlehme ausgehend ebenfalls Streikaktionen. Nach dem erfolgreichen Generalstreik zur Niederschlagung des Putsches sollte ursprünglich sogar Carl Legien, der Vorsitzende der ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund) in Anerkennung der durch die gewerkschaftliche Massenaktion geretteten Republik ihr neuer Regierungschef werden.

Die Putschisten hatten sich vor allem infolge der Streikausdehnung auf das ganze Land und des reichsweiten lokal bewaffneten Widerstandes lediglich vier Tage an der Macht halten können. Am 17. März zwang sie der Generalstreik endgültig in die Knie Kapp trat zurück und floh nach Schweden. General von Lüttwitz machte sich für 4 Stunden zum Reichskanzler.

Von Zossen bis Adlershof

Versprengte Baltikumer (ehedem im Baltikum: Estland, Lettland, Litauen gegen Russland kämpfende Truppenteile) wollten zum Funkerberg in Königs Wusterhausen und weiter nach Adlershof und Berlin. Vorher mit Zossener Truppenteilen (Heeresoberkommando in Wünsdorf) verbündet, mussten sie auf ihrem Weg Mittenwalde und Schenkendorf passieren.

Eine weitere Gefahr ging aber auch von den auf dem Funkerberg Königs Wusterhausen stationierten Truppen und dem Funkerbataillon, also dort ziemlich vielen Reichswehrsoldaten aus. Die sahen den Bestand ihrer bisher militärisch genutzten Anlagen gefährdet, zumal es Abrüstungsauflagen durch den Friedensvertrag von Versailles gab.

Der 20. März 1920 in Schenkendorf

Etwa 50 ortsansässige Arbeiter und Arbeitersportler befanden sich auf dem Weg zu einer Kundgebung im Lokal von Otto Patsch am Grünen Weg. Hinzu kamen noch einige aus der Umgebung, aus Bestensee und Königs Wusterhausen, manche mit Waffen, schließlich sollen es an die 80 Männer gewesen sein. Aus Königs Wusterhausen kam dazu Gottlieb Steinbrenner. Als Kurier überbrachte er die Nachricht, dass eine auf dem Funkerberg stationierte Reichswehrtruppe im Anmarsch sei.

Die Schenkendorfer ergaben sich trotz Aufforderung nicht und ließen sich von der „Schwarzen Reichswehr auch nicht entwaffnen. Daraufhin kam es zu einem schweren Gefecht am Grünen Weg und der Dorfstraße. Die militärisch und zahlenmäßig unterlegenen Arbeiter wurden besiegt.

Gustav Fröhlich aus Groß Besten (heute Bestensee) fiel durch Kopfschuss, auch Arthur Rettig wurde getroffen. Der heutige SV Grün Weiß Bestensee 1919 ehrt sie auf seiner Internetseite: „Während des Kapp-Putsches im März 1920 verlor der Verein die Sportkameraden Rettig und Fröhlich, die in Schenkendorf erschossen wurden." Franz Pelka, unbewaffnet, wurde am Nottekanal erschossen. Der schwerverwundete Arthur Rettig verstarb auf dem Kampfplatz, weil ihm keine medizinische Hilfe zuteil wurde. Georg Kowalzyk erlag seinen Verletzungen im Krankenhaus Königs Wusterhausen. Seine Eltern lebten in Eichwalde, er soll in der Cottbuser Straße 49 in Königs Wusterhausen gewohnt haben.

Die Gefangenen wurden wie die in Mittenwalde und Zernsdorf Besiegten zum Funkerberg gebracht, wo sie misshandelt und vor ein Standgericht gestellt wurden. Der in Hoherlehme (heute Wildau) wohnende Metallarbeiter Robert Pätzold wurde zum Tode verurteilt, dann mit Willi Kroll, Paul Simolke und Franz Fischer zur Scheinerschießung auf den Hof geführt. Die Vier überlebten.

Größtes Trauergeleit dieser Gegend

Am 28. März 1920 wurden Linke, Pelka und Pfeiffer in Anwesenheit ihrer Angehörigen auf dem Friedhof Schenkendorf beerdigt. 800 Menschen sollen ihnen das letzte Geleit gegeben haben. Ein „Leichenbegräbnis, wie es kaum jemals ein Ort unserer Gegend gesehen hat", war in der Lokalpresse zu lesen. Gesine Linke und Kinder, Emma Pelka mit Kindern und Anna Pfeiffer bedankten sich in der Zeitung am 1. April für „die unzähligen Beweise herzlicher Teilnahme bei dem schweren Verlust" ihrer Ehemänner als „Opfer der Gegenrevolution".

Auf dem Adlershofer Friedhof in der Friedlander Straße wurden 31 von den Putschisten Getötete zu Grabe getragen. 30 von ihnen waren während der „Unruhen" in dieser Schenkendorf benachbarten, damals noch nicht zu Berlin gehörigen Gemeinde des Kreises Teltow, erschossen worden. Die Reichswehr hatte nämlich inzwischen mit Schießbefehl eingegriffen.

Couragiertes Mittenwalde

Doch damit war das Kapp-Putsch-Drama aber noch nicht beendet. Mitte April 1920 hatte die Einwohnerwehr Mittenwaldes offiziell gegen das gewaltsame Einschreiten der Reichswehr protestiert, was zu ihrer Auflösung und Entwaffnung führte. Das Eingreifen der Reichswehr hatte bereits Ende März die Mittenwalder Stadtverordnetenversammlung beschäftigt. Die USPD hatte eine Resolution wegen ihres von der Reichswehr festgesetzten Stadtverordneten Wilhelm von Hagen eingebracht, gerichtet auch an Nationalversammlung, Staatenbund, Reichwehrminister und Preußische Landesversammlung. Sie wurde mehrheitlich angenommen mit Bürgermeister Otto Schwartz an der Spitze.

Dieses entschiedene Auftreten der Stadträte brachte von Hagen wieder in Freiheit, und Schwartz erhielt im Jahr darauf, am 10. Februar 1921, das Vertrauen der Bürger für eine weitere Amtszeit.

Thema in der Nationalversammlung

Bis in die Nationalversammlung drang die Kunde von den Schenkendorfer Kämpfen zur Verteidigung der Republik. Gequält und misshandelt worden war am 16. März auch der verhaftete Schenkendorfer Arbeiter Franz Fischer von einem Standgericht in Königs Wusterhausen. Dies brachte der Reichstagsabgeordnete Richard Fischer (SPD) im Rahmen einer Anfrage in der Nationalversammlung vor. Franz Fischers Schicksal wie auch das weiterer sechs Gefolterter und wohl auch zum Tode Verurteilter sei unklar Es bleibe zu fragen, weshalb soviel Nachsicht bei Putschisten und ihren Helfershelfern geübt worden sei, während man sich gegenüber Verteidigern der Republik oft unnachsichtig zeigte. 

Rotes Dorf der Region

Die Bevölkerung hingegen zollte den Verteidigern der Republik Respekt und Anerkennung. Schenkendorf galt in der Region als Rotes Dorf. Vor allem Unabhängige Sozialdemokraten haben die Hinterbliebenen mit Spenden unterstützt. Bei der Reichstagswahl am 6. Juni 1920 vervielfachten sich in der Region die Stimmen für die USPD im Verhältnis zu 1919. Vielerorts wurde sie stärkste politische Kraft und gewann damit an politischem Gewicht.

1926 erhielt übrigens die Zelle des Roten Frontkämpferbundes als internationale Anerkennung der 1920 mutig Kämpfenden für die Verteidigung der Novemberrevolution und jungen Republik die Traditionsfahne des Smolensker Rotarmisten-Schützen-Regiments „Deutsches Proletariat".

Angelegenheit des Staates, der Kirche und der Stadt

Um die Aufklärung der Schenkendorfer Ereignisse hat sich Ende der 1950er Jahre der Schenkendorfer Lehrer und spätere Ortschronist von Bestensee Harry Schäffer sehr verdient gemacht. Der mutige Einsatz der Schenkendorfer, Bestenseer und Mittenwalder für Republik und Demokratie darf auch Jahrzehnte später nicht in Vergessenheit geraten. Auch nach der Wende seien die Taten der Gefallenen ehrenwert, hatte schon vor fünf Jahren Schenkendorfs Altpfarrer Mielke erklärt. Zum staatlichen, gesellschaftlichen Denkmalschutz sollten neben der kirchlichen Pflege auch der städtische Erhalt dieser Gräberstätte gehören.

Fred Bruder